Inventur richtig gemacht: Best Practices für eine effiziente Bestandsaufnahme
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Die Inventur ist mehr als eine gesetzliche Pflicht nach § 240 HGB und § 141 AO: Sie ist ein zentrales Instrument für eine ordnungsgemäße Buchführung, die zutreffende Lagerbewertung und eine verlässliche Unternehmenssteuerung. Unzureichend geplante oder unvollständig durchgeführte Inventuren führen nicht nur zu bilanziellen Verzerrungen, sondern auch zu steuerlichen Nachteilen und folgenschweren Fehlentscheidungen.
In diesem Beitrag zeigen wir, wie Sie Ihre Inventur professionell vorbereiten, effizient durchführen und mithilfe digitaler Lösungen optimieren – mit bewährten Praxisbeispielen, modernen Technologien und konkreten Handlungsempfehlungen.
1. Warum eine gute Inventur entscheidend ist
Die Inventur bildet die Grundlage für die Handels- und Steuerbilanz. Ohne valide Bestandsdaten sind betriebswirtschaftliche Auswertungen, Deckungsbeitragsrechnungen und Entscheidungen nur eingeschränkt belastbar.
Fehlerhafte Inventuren können zu:
- bilanziellen Verzerrungen führen (z. B. durch überhöhte Lagerbestände),
- steuerlichen Nachteilen (z. B. bei nicht erkannten Schwundverlusten),
- operativen Fehlentscheidungen (z. B. falsche Einkaufsmengen, Fehleinschätzung von Lieferengpässen).
Beispiel: Ein Handelsunternehmen überschätzt den Lagerbestand um 5 %. Dadurch erscheint die Marge höher als sie tatsächlich ist. In der Folge kalkuliert das Unternehmen Verkaufspreise zu niedrig und erzielt keinen Deckungsbeitrag.
2. Vorbereitung: Ohne Plan kein Erfolg
Eine erfolgreiche Inventur beginnt mit strukturierter Planung – mindestens 8 Wochen vor dem Zähltag. Wichtige Schritte:
Inventurform wählen
- Stichtagsinventur: Zählung zum Bilanzstichtag (z. B. 31.12.)
- Verlegte Inventur: Zählung innerhalb von 3 Monaten vor oder 2 Monaten nach dem Bilanzstichtag, Fortschreibung bzw. Rückrechnung nötig (§ 241 Abs. 3 HGB)
- Permanente Inventur: Laufende Lagerbuchführung mit regelmäßiger körperlicher Bestandsaufnahme
- Stichprobeninventur: Nur bei ordnungsgemäßer Lagerorganisation erlaubt (§ 241 Abs. 1 HGB)
Verantwortlichkeiten und Ablauf definieren
- Zuständigkeiten für Zählung, Kontrolle und Dokumentation festlegen
- Schulungen für das Inventurteam: Umgang mit Geräten, häufige Fehlerquellen, Ablauf
Technik & Hilfsmittel vorbereiten
- Zähllisten, MDE-Geräte, Barcode-Scanner
- ERP-System oder spezialisierte Inventursoftware
- Pufferzeit für Nachzählungen einplanen
3. Zähltag: Physische Bestandsaufnahme strukturiert durchführen
Zählanweisung und Standards
- Einheitliche Mengeneinheiten (Stück, Liter, Meter etc.)
- Nur firmeneigene Waren zählen (keine Konsignationsware)
- Alt-, Retouren- oder beschädigte Ware getrennt kennzeichnen und bewerten
Zählpaare einsetzen (Vier-Augen-Prinzip)
- Eine Person zählt, eine zweite protokolliert
- Reduziert Fehler, verhindert Manipulation
Besondere Artikel besonders behandeln
- Hochwertige, leicht verderbliche oder schwundanfällige Ware (z. B. Elektronik, Lebensmittel)
- Artikel mit Seriennummern eindeutig erfassen
Beispiel: In einem Sanitärgroßhandel wurde eine Palette doppelt gezählt, da sie nicht eindeutig gekennzeichnet war. Eine einfache Etikettierung hätte dies verhindert.
4. Moderne Verfahren: Effizienz durch Struktur
Cycle Counting
- Rollierende Zählung während des Jahres
- Vorteil: Kein Betriebsstillstand, laufende Kontrolle, höhere Datenqualität
- Voraussetzung: Lagerführung per ERP-System, GoBD-konform dokumentiert
ABC-Analyse sinnvoll kombinieren
- A-Güter (hochwertig, selten): häufiger zählen
- B-Güter (mittlerer Wert): zyklisch zählen
- C-Güter (niedriger Wert, hohe Anzahl): stichprobenartig zählen
Tipp: Kombinieren Sie Cycle Counting mit der ABC-Analyse für maximalen Ressourceneinsatz.
5. Fehlerquellen kennen – und vermeiden
Typische Stolperfallen
- Doppel- oder Fehlzählungen
- Nicht gepflegte Artikelstammdaten
- Laufender Wareneingang während der Zählung
- Schwund- oder Diebstahlmengen bleiben unberücksichtigt
- Artikelverwechslungen (z. B. Größen, Farben, Varianten)
Lösungsansätze
- Lagerstillstand für die Dauer der Zählung
- Vorab-Testlauf zur Validierung des Ablaufs
- Nachzählprotokolle dokumentieren
- Seriennummern/Artikelnummern vorab prüfen
- Schulungen dokumentieren, Checklisten nutzen
6. Dokumentation & Auditierung – Pflicht & Chance
Pflichten nach HGB und GoBD
- Nach § 257 HGB sind Zähllisten, Nachzählungen, Differenzprotokolle 10 Jahre aufzubewahren
- Digitale Ablage erleichtert interne und externe Prüfungen
Was dokumentiert werden sollte
- Zähllisten mit Datum und Unterschrift
- Protokolle über Abweichungen und Nachzählungen
- Inventuranweisung und Schulungsnachweise
- Fotodokumentation bei Sonderfällen (z. B. beschädigte Ware, Rückläufer)
Zusatznutzen: Eine saubere Dokumentation hilft bei Versicherungsfällen oder im Streitfall mit Lieferanten.
7. Technologien, die Ihre Inventur verbessern
Effizienz durch Digitalisierung
- Barcode-Scanner & MDE-Geräte: Hohe Geschwindigkeit, reduzierte Fehlerquote
- Mobile Apps: Offline-Zugriff, direkte Synchronisation mit ERP-Systemen
- ERP-Integration: Automatisierter Abgleich von Soll- und Ist-Beständen
- RFID: Automatische Erkennung ohne Sichtkontakt – sinnvoll bei hohen Beständen, aber kostenintensiv
Praxisbeispiel: Ein Elektronikhändler reduzierte die Dauer der Inventur mithilfe mobiler Scanner von zwei Tagen auf acht Stunden – bei gleichzeitig höherer Genauigkeit.
8. Erfolgsfaktoren für eine gelungene Inventur
✔ Mindestens 8 Wochen Vorlaufzeit
✔ Klare Zuständigkeiten und standardisierte Prozesse
✔ Einheitliche Artikelkennzeichnung und Lagerstruktur
✔ Integration der Buchhaltung zur Bewertung (z. B. Niederstwertprinzip)
✔ Nutzung moderner Technik (MDE, Apps, ERP)
✔ Schulungen, Checklisten und Fehleranalysen als fester Bestandteil
Fazit: Inventur als strategisches Steuerungsinstrument
Eine professionelle Inventur ist keine lästige Pflicht, sondern ein essenzielles Werkzeug der Unternehmenssteuerung. Sie schafft Transparenz, reduziert Risiken und verbessert die Entscheidungsqualität im Einkauf, Vertrieb und Controlling.
Unsere Empfehlungen:
- Wählen Sie das passende Inventurverfahren – abhängig von Lagerstruktur und IT-System.
- Nutzen Sie digitale Hilfsmittel wie mobile Apps, Scanner und ERP-Schnittstellen.
- Beziehen Sie Ihre Buchhaltung frühzeitig ein, um eine korrekte Bewertung sicherzustellen.
- Schulen Sie Ihr Team regelmäßig – vermeiden Sie Routinefehler durch Wissenstransfer.
- Führen Sie eine Nachanalyse durch, um Differenzen zu verstehen und künftig zu vermeiden.